Ein greiser Mann wartet. Worauf er gewartet hat, wird ihm erst klar, als das Erwartete eintritt. Die Christenheit feierte gestern das Fest „Darstellung des Herrn“, im Volksmund auch als „Maria Lichtmess“ bekannt. Das Lukasevangelium legt nach der Weihnachtserzählung viel Wert darauf, dass das Leben Jesu tief im Judentum verwurzelt ist. In Lukas 2,21 wird von seiner Beschneidung berichtet, woran sich die Erzählung des ersten Besuches des Säuglings Jesu im Tempel anschließt. Bemerkenswert ist, dass der Besuch anlässlich der vorgeschriebenen Reinigungsopfers geschieht, dem sich die Mutter eines Sohnes nach Levitikus 12,2-4 vierzig Tage nach dessen Geburt unterziehen musste. Interessant ist, dass die andere Vorschrift, nämlich die Auslösung des Erstgeborenen, die Pidjon HaBen, unerwähnt bleibt. Nach Exodus 13,2 ist alle Erstgeburt geheiligt und gehört Gott und muss ihm deshalb im Tempel übergeben werden. Dort wird der Erstgeborene üblicherweise nach Num 18,16 durch ein Geldopfer ausgelöst. Lukas berichtet nun von der vorgeschriebenen Reinigung der Maria und der Darstellung Jesu im Tempel, nicht aber von dessen Auslösung. Er bleibt damit erzählerisch im „Besitz“ Gottes.
Damit setzt sich fort, was Lukas schon von der Verkündigung an andeutet: Dieser Jesus ist anders. Das scheint auch der greise Simeon zu ahnen, der gewartet hat und nun eine Verheißung über den Neugeborenen spricht:
„Meine Augen haben das Heil gesehen, das du vor allen Völkern bereitet hast, ein Licht, das die Heiden erleuchtet, und Herrlichkeit für dein Volk Israel.“ (Lk 2,30-32)
Die Eltern Jesu wundern sich über diese Worte. In der Rückschau derer, die an die Auferstehung des Gekreuzigten glauben können, haben sie sich aber erfüllt: Das Heil kommt von den Juden, wird aber nun auch unter den Heiden, den Goijm, den Nichtjuden verkündet. Gleichzeitig aber scheiden sich an Jesus bis heute die Geister. Auch das hat der wartende Simeon vorhergesehen:
„Siehe, dieser ist dazu bestimmt, dass in Israel viele zu Fall kommen und aufgerichtet werden, und er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird.“ (Lk 2,34)
Warten macht offenkundig weise. Warten braucht Geduld und Gelassenheit. Wer zu warten vermag, kann erkennen, was den Hastenden verborgen bleibt. Das ist bis heute so – freilich hat der moderne Mensch das Warten verlernt. Er möchte sich in seinen Selbstverständlichkeiten nicht stören lassen. Deshalb waren etwa für viele die Corona-Maßnahmen verstörend und man wie zum Beispiel die Corona-Pandemie zeigt. Die Masken fallen in diesen Tagen in mehrfacher Hinsicht. Heute weiß man, dass nicht alle Maßnahmen in der verordneten Weise notwendig gewesen wären – andere hingegen schon. Daraus könnte man lernen, denn am Beginn der Pandemie glich das Suchen nach den richtigen Entscheidungen eben auch einem Stochern im Nebel. In der Rückschau wissen alle es nun natürlich besser. Was glauben Sie denn?
Ähnlich ist es auch bei anderen aktuellen Themen: Klima und Krieg, Einwanderung und Energiepolitik dulden eigentlich keinen Aufschub. Aber gerade deshalb wäre es wichtig, einen Schritt zurückzutreten. Eiliger Aktivismus führt oft nicht ans Ziel, wenn zu Vor-Sicht und Nach-Denken die Zeit fehlt.
Vielleicht wäre ein Rat aus dem Jakobusbrief ein erster Schritt, den Zusammenhalt wieder zu stärken
„Jeder Mensch sei schnell zum Hören, langsam zum Reden, langsam zum Zorn; denn der Zorn eines Mannes schafft keine Gerechtigkeit vor Gott.“ (Jak 1,19f)
Ob nun mit oder ohne Gott: Zuerst zu hören und vor dem Antworten das Gehörte wenigstens zu bedenken, könnte ein erster Schritt sein. Auch die Gesellschaft braucht offenkundig ein Tempolimit. Es könnte sonst sein, dass sie sonst nicht ans Ziel kommt …
Dr. Werner Kleine
Erstveröffentlicht in einer gekürzten Version der Westdeutschen Zeitung vom 3. Februar 2023.
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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